Durchdringend hallte das laut tönende Klingeln durch die gesellige Ruhe nach, als ich mich durch die schwere, holzumrahmte Eingangstür schob. Wohlwissend, dass mich die klirrend helle Klangfarbe noch die restlichen Schritte in den Raum begleiten würde, ehe sie sich – für gewöhnlich leise abklingend – in den weiß gestrichenen Wänden um mir herum verlor. Nicht nur diese seltsam befriedigende Konstante fügte sich nahtlos in jene angenehm vertraute Aura des Geschäfts, welche mich in die Hülle einer heimeligen Blase packte, in dessen Inneren ich wie in Zeitlupe durch die verblassten Memoiren vergangener Tage schwebte. Freilich nur so weit, wie mich die, von umtriebiger Vorstellungskraft getriebenen kindlichen Erinnerungen zu zerren vermochten. Und doch trugen diese kecken Kinderaugen den glänzenden Schein unbekümmerter Wissbegierde in sich, während sie unter dem Schopf und über die Ladentheke hervorlugten.

Gefangen zwischen Altem und Neuen, wackelten seine Zehenspitzen in der Schuhgröße 43, dessen Umfang er eines Tages gewachsen sein würde. Solange dies noch nicht der Fall war, schnürte er sich eben die ihm passenden Latschen an und stiefelte frohen Mutes jeden Tag aufs Neue durch die Ladentür, die ihn schon von Weitem ankündigte. Solange, bis die Schritte immer weiter und die Schuhe immer größer wurden.

Nicht nur unsere verblassenden Erinnerungen, entwachsen mit der Zeit ihren Kinderschuhen, auch unsere Herzensangelegenheiten müssen wir von Zeit zu Zeit umtopfen, damit sie neu entkeimen, frische Wurzeln schlagen und die tollsten Blütenkronen tragen können.

Vor fast einem Jahrhundert erblickte in Neuses ein „Tante-Emma-Laden“ geführt von Kunigunde Fleischmann inmitten der Goldenen Zwanziger im Jahre 1923 das Licht der Welt. Im Lausbuben-Alter überdauerte er die Wirren der Vorkriegszeit. Seine rebellische Jugend war geprägt von den Unergründlichkeiten des Krieges.

Ob Krisen oder Frieden, der Tante-Emma-Laden war seit jeher ein fester Bestandteil des Neuseser Dorflebens. Ein lebhafter Knotenpunkt für den ganzen Ort, an dem jede Seele mit offenen Armen empfangen wurde. Daran änderte sich auch 1984 mit der Erweiterung und dem Hinzufügen einer Tabakgroßhandlung nichts.

Während Begriffe wie „Krämer“ und „Höker“ aus dem Sprachgebrauch verschwanden, wurde in der Bambergerstraße im Haus Nummer 2 das K immer noch großgeschrieben. K. Fleischmann thronte noch immer über dem einladenden Schaufenster. Ach ja und K wie Kunde natürlich auch, das versteht sich hoffentlich von selbst.

1996 gesellte sich dann mit dem Verkaufsstart der Single-Malt-Whiskys infolge der bereits 1983 gegründeten Whiskydestillerie „Blaue Maus“ ein wahrer Exot unter die alteingesessenen Süßigkeiten-Tüten, Brötchen und Presseblätter. Dies war der Startschuss für eine Ära im Zeichen der bronzefarbenen Destille sowie einer der Grundbausteine für Gegenwart und Zukunft.

Von wegen Midlife-Crisis im fortgeschrittenen Alter! Im zweiten Frühling blühte der „Tante-Emma-Laden“ regelrecht zum fränkisch-schottischen Mekka des Genusses auf. Feinschmecker, Nostalgiker, Stammkunden. Nicht nur in den Einheits- und Wendejahren kam jeder voll auf seine Kosten.

Auch die jüngste Vergangenheit zeugt von Hingabe und Leidenschaft, angetrieben vom Streben nach Perfektion für Kunden und Endprodukt. Das Jahr 2021 markiert nun einen entscheidenden Wendepunkt und birgt die Erkenntnis, auch noch im hohen Alter auf den richtigen Weg abgebogen zu sein. Der Umbau des Whisky-Shops integriert mit Tabakwaren, Zeitschriften und Feinkost stellt wortwörtlich den Startschuss für ein neues Jahrhundert voll Tradition und Neugierde dar.

Mithin schlägt er in dieselbe Kerbe, die sich schon seit 1923 durch die Fassaden dieses großen grünen Hauses zieht und dessen Erbe mit großer Zuversicht in die nächsten 100 Jahre geführt werden kann.

Damit ich auch noch auf meine alten Tage seufzend den Klang der durchdringend schallenden Klingel nachschwelgen darf. Den unverkennbaren Geruch von Heimat in mir aufsaugen kann. Damit dieser kindliche Zauber für immer und ewig einen Platz in meinem Herzen findet.